Die Idee war – wie so viele verrückte Unterfangen – in einer Bierlaune geboren. Wie wäre es, von Zürich bis Berlin auf dem Wasserweg zu reisen? Und nicht etwa Motor getrieben, son- dern mit einem Pedalo? Der Zürcher Stefan Tobler (30), Vize- Mister-Schweiz 2010, und der Ustermer Schulleiter der Swiss Marketing Academy, Hansruedi Knöpfli (45), waren hin und weg von diesem Gedanken.
Das 1400 Kilometer lange Abenteuer sollte auch einen nach- haltigen Effekt haben. Knöpfli und Tobler entschlossen sich, mit der Aktion Geld für zwei Kinderhilfs- werke zu sammeln: einerseits für Kovive.ch, ein Schweizer Kinder- hilfswerk, andererseits für dragonflycambodia.org, ein von Schweizern gegründeter gemein- nütziger Verein zur Unterstützung von Projekten in Kambodscha. Rund 40 000 Franken kamen dank Sponsoren und Privatpersonen zusammen.
Am 29. Mai wasserten Stefan Tobler und Hansruedi Knöpfli unter schmissiger Begleitmusik der extra angereisten Guggenmusik «Troubadix» aus Wädenswil ZH in Zürich ein. Am geschichtsträchti- gen 17. Juni (Volksaufstand der DDR 1953) traf das Duo nass, aber glücklich am Spreebogen in Berlin ein. Für den in Wädenswil aufgewachsenen Stefan Tobler ein weiterer Meilenstein in einer Liste unzähliger Abenteuer.
2005 nahm Stefan Tobler am längsten und härtesten Radrennen der Welt teil, der Tour d’Afrique. 12 000 Kilometer von Kairo bis Kapstadt. Zehn Länder in vier Mo- naten, von bitterster Nachtkälte bis zu unerträglicher Mittagshitze. Stefan Tobler beendete die Tour als Drittplatzierter. Noch heute glänzen seine Augen, wenn er von dem unbeschreiblichen Glücksge- fühl erzählt, «diesen Wahnsinn» heil und gesund überstanden zu haben. Und gesund ist bei Stefan Tobler nicht wirklich eine Selbstverständlichkeit.
Der gelernte Feinmechaniker kam vor 30 Jahren als Kind einer deutschen Mutter und eines Schweizer Vaters in einem Vorort von Johannesburg in Südafrika zur Welt. Mit einer Hüftdysplasie, einer angeborenen Fehlstellung des Hüftgelenks. Neugeborenenversorgung wie in der Schweiz gab es dort in den 80er-Jahren nicht. Stefans Problem wurde erst klar, als der Kleine mit zwei Jahren immer noch nicht richtig lief. Die Eltern wollten eine Schweizer Schulbildung für Stefan und seine jüngere Schwester, und so kehrte die Familie Ende der 80er-Jahre nach Wädenswil zurück. Unter- suchungen im Kinderspital zeigten: Irgendwann braucht der Bub ein künstliches Hüftgelenk. Aber erst, wenn er ausgewachsen ist. Bis dahin würde das Kind keinen Sport machen können. Das wäre zu schmerzhaft.
Doch der junge Stefan Tobler entdeckte das Fahrradfahren. Schon als Elfjähriger war der Bengel nicht zu halten. Die Eltern erlaubten ihm, jeden Sommer und jeden Herbst zwei Wochen mit dem Rad alleine die Schweiz zu erkunden. «Etwas zu erleben, das Abenteuer, eine Herausforderung zu bestehen, das war meine An- triebsfeder», erzählt Tobler. «Inzwischen kenne ich jeden Pass in der Schweiz.»
Die Lehre stand an. Die Ansprüche an sich selbst stiegen. Es lockten Wettkämpfe, Triathlon in olympischer Distanz zum Beispiel. Mit Laufen und Schwimmen konnte er sich trotz Schmerzen arrangieren, seine Lieblingsdiszip- lin blieb das Radfahren. Geld für die Wettkämpfe und das Material (Spitzenräder kosten schnell mal 10 000 Franken) verdiente sich der Werkzeugmacher in Neben- jobs, seine Velos flickte er selber. Nach der Lehre sollte ein Traum Wirklichkeit werden: Velokurier. Auch das setzte Tobler um.
Er absolvierte die eidgenössische Marketingfachmann-Ausbildung und wollte Mister Schweiz 2010 werden. Vorher stand aber noch Stefan Toblers grösste Herausfor- derung bevor: das neue Hüftgelenk. Die Operation gelang. Und Tobler wurde der zweitschönste Mann der Schweiz. Das Bestehen der Fachprüfung war dann Ehrensache. Was kann einen wie ihn überhaupt noch reizen? Stefan Tobler kommt ins Schwärmen: «Die Seidenstrasse mit dem Rad zu fahren, bis nach Peking. Oder durch Amerika.»
Und schon packt er wieder sei- ne Velos. Paris–Brest–Paris steht an, ein 1200-Kilometer-Rennen in 80 Stunden (21. bis 25. August 2011). Die Qualifikationen dafür, je ein 200er-, 300er-, 400er- und 600er-Rennen, sind geschafft, das Bike steht bereit, die Waden sind trainiert. Und die Hüfte, die hält. Sicher auch irgendwann mal bis Peking. Text Dörte Welti
Bilder Gerry Nitsch/tillate.com, Theresa Brown/racerfish.com
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