Der Teer glüht unter ihm, links und rechts erheben sich Pyramiden. Stefan Tobler ist mit dem Fahrrad von Kairo Richtung Kapstadt losgefahren. Er nimmt am längsten Bikerennen der Welt teil. Eine saubere, schwarze Linie führt ihn durch die Wüste Ägyptens. Willkommen in der Hölle, denkt der 24-Jährige nur noch, als er im Sudan ankommt. Tagsüber erreicht die Temperatur über 40 Grad, nachts fällt sie auf knapp über null. Dort gibt es keine Strassen mehr. Mitten in den Dünen versucht der Extremsportler, kompakten Boden zu finden. Er bestimmt selber seinen Pfad, orientiert sich mit dem Kompass. Manchmal sackt er im Sand ein und muss das Velo unter der brennenden Sonne schieben. Vor ihm kämpft sich ein anderer Velofahrer durchs Tal, ein winziger, dunkler Punkt am Horizont. Weitere vier Monate stehen ihm bevor, bis er im Sommer 2005 in Südafrika eintreffen wird. Trotz kaputter Hüe losgefahren Mit dem Velo nach Südafrika zu fahren, war sein grösster Traum. Der Vize-Mister- Schweiz 2010 wuchs bis zu seinem sechsten Lebensjahr in Johannesburg auf und vermisste später das Land. Bald entdeckte er das Fahrrad. Wegen einer Deformation des Hüftkopfs riet ihm der Arzt, einen Sport zu treiben, der runde Bewegungen verlangt. So begann Tobler schon mit zwölf Jahren, seine ersten Schweizer Touren zu bestreiten. Später arbeitete er als Velokurier. Jahrelang studierte er die Landkarte des Schwarzen Kontinents und zeichnete im Geist die Route. «Als ich dann einen Bericht im «Tagblatt» über die Tour d`Afrique las, wusste ich: Auf diese Chance habe ich gewartet», sagt der heute 30-Jährige. Trotz defekter Hüfte bestand Tobler den Gesundheitscheck. Er flog nach Kairo, ohne seinen Bekannten etwas vom Projekt zu erzählen. Vorher hatte er noch eine grosse Neujahrsparty geschmissen und sich innerlich von Freunden verabschiedet. «Ich wusste, wenn ich mein Vorhaben allen erzähle, verliert es an Wichtigkeit, ich wollte es für mich behalten.» Und so ging er los, mit nur wenigen Kleidern, einem Zelt und einem Tagebuch im Gepäck. «Mir war egal, ob ich gewinne oder ausscheide, ich wollte einfach mit dem Velo meine Geburtsstadt erreichen.» Von frechen Aen ausgeraubt Jeden Morgen steht der gelernte Feinmechaniker um 5.30 Uhr auf. Nach dem Frühstück steigt er in den Sattel. Stundenlang tritt er in die Pedale. Wenn die Strecke über längere Zeit geradeaus verläuft, fällt er in eine Art von Trance. Er fixiert einen Punkt, sein Kopf ist leer. «Ab einem gewissen Zeitpunkt spürt man die Müdigkeit nicht mehr», Tag für Tag legt er im Durchschnitt 120 Kilometer zurück. In Äthiopien wechselt die Landschaft. Das Land ist reich an Vegetation, saftiges Grün steht auf rotem Boden. Dort ist Regenzeit, zehn Tage lang radelt Tobler im Feuchten. In den Regenwäldern im Süden muss er auf die frechen Affen aufpassen. Im Bruchteil einer Sekunde können diese den Tachometer oder den Helm klauen und damit in den Bäumen verschwinden. Während die 45 Teilnehmer ihre Route abfahren, steuern zwei Lastwagen vollgeladen mit Habseligkeiten und Ausrüstung zum jeweiligen Camp. Die Fahrer sind gleichzeitig auch die Köche. Um die Gruppe zu verpflegen, müssen sie zum Teil ein ganzes Dorf leerkaufen. Manchmal sind die Brunnen mit Trinkwasser trocken. Dann müssen die Sportler auf die täglichen 75 Milliliter für die Körperpflege verzichten. Das vorhandene Wasser wird fürs Trinken gespart. Wenn man so viel schwitzt, muss man mindestens sieben Liter Flüssigkeit pro Tag zu sich nehmen, um nicht zu dehydrieren. Um 16 Uhr kommen die Fahrer jeweils im Camp an. Zuerst isst Tobler ein Zvieri, dann wäscht er seine Kleider und baut das Zelt auf. Vor dem Abendessen um 18 Uhr liest er, hört Musik oder schnitzt Hölzer. Um 19.30 ist es dunkel und Bettzeit. Er braucht zehn Stunden Schlaf. Doch im Freien kann er sich kaum entspannen: Elefantenherden trampeln am Zelt vorbei, Löwen brüllen in der Nähe. Am Vorabend bespricht das Team die Route. Für den Fall, dass sich jemand verliert, müssen alle ein paar Dutzend Wörter in der Landessprache lernen. «Polizei», «Krankenhaus» und «Hilfe» sind ein Muss. Wenn die bunten Velofahrer mit ihren Hightechbikes, Velocomputern und trendigen Sonnenbrillen in einer Siedlung eintreffen, sind sie die Attraktion des Tages. Die Einheimischen mustern sie und stellen Fragen. «Obwohl sie in Lehmhütten wohnten, luden sie uns immer zum Tee ein, wir waren für sie die einzige Möglichkeit, etwas aus dem Ausland zu erfahren.» Trotz der Freude über die Gastfreundschaft bekümmert ihn die Armut. In Namibia übermannt ihn die Vorfreude: Er hat die Strecke fast geschafft. Die Anstrengung hat sich bemerkbar gemacht. Irgendwo schmerzt es immer, und die Beine brennen andauernd. «Man lebt am existenziellen Minimum, ist reduziert aufs Vorwärtskommen, das Ziel wird zur einzigen Sorge», erklärt Tobler. Aber an gewissen Tagen macht der Körper schlapp. Tobler will einfach nicht mehr aufstehen, die Verlockung aufzugeben ist gross. «Fitness ist wichtig, aber die grösste Arbeit macht der Kopf, es braucht mentale Stärke um sich durchzukämpfen.» Gegen Ende kippt die Stimmung. In Südafrika ist es kalt und regnerisch. Tobler, müde und gereizt, muss im nassen Schlafsack schlafen. Nach 11 628 Kilometern erreicht er das Ziel in Kapstadt als Dritter. Er ist erleichtert, es überstanden zu haben. Doch seine Reise geht weiter nach Johannesburg. Dort sucht er die Strassen seiner Kindheit nach bekanntenStellen ab, lässt Erinnerungen hochkommen. Schliesslich steht er vor dem Haus, in dem er aufgewachsen ist. Er hat sein eigentliches Ziel endlich erreicht
Freitag, 29. Juli 2011
Tagblatt Zürich
Montag, 18. Juli 2011
Mister Extremsport
Kaum hat Stefan Tobler seine 19-tägige Pedalofahrt von Zürich nach Berlin hinter sich gebracht, wartet bereits das nächste Abenteuer. Der Vize-Mister-Schweiz 2010 qualifizierte sich für den härtesten Fahrradmarathon von Europa. 1200 Kilometer in 80 Stunden von Paris nach Brest und wieder zurück. «Ich werde sicherlich körperlich an meine Grenzen kommen», so Tobler, der sich vor drei Jahren ein künstliches Hüftgelenk einsetzen lassen musste.
Am 21. August geht es los, bis dahin muss der 30-Jährige trainieren. «Ich fahre nächste Woche für drei Wochen nach Schweden», so Tobler und weiter: «Ich habe dort ähnliches Terrain.»
Das Nonstop-Rennen findet nur alle vier Jahre statt. 6000 Extremsportler stellen sich der Herausforderung, aus der Schweiz haben sich 33 qualifiziert. Tobler: «Der Sieg ist mir nicht so wichtig, ich möchte einfach ins Ziel kommen.»